Folgen der gleichheitswidrigen Erbbeteiligung von Ehemann und Ehefrau nach iranischem Recht

LG Hamburg 27. Zivilkammer, Urteil vom 22.02.2018, 327 O 475/15

§ 256 ZPO, Art 946 ZGB IRN, Art 948 ZGB IRN

Tenor

1. Die Beklagten zu 1) bis 3) werden verurteilt, an die Klägerin jeweils € 22.405,96 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass der Klägerin 1/4 des zur Verteilung kommenden Versteigerungserlöses aus der derzeit beim Amtsgericht H. zur Geschäftsnummer 71k K 45/15 laufenden oder einer zukünftigen Zwangsversteigerung des im H. Weg W. 16, 16a, P. Weg W. 16, belegenen, im Grundbuch von H., Band 129, Blatt 4594 (Wohnungsgrundbuch), eingetragenen Wohnungseigentums, bestehend aus 857/10.000 Miteigentumsanteil an dem 2.596 Quadratmeter großen Flurstück Nr. 2018, verbunden mit dem Sondereigentum an der im Aufteilungsplan mit Nr. 8 bezeichneten Wohnung nebst Kellerraum und Tiefgaragenstellplatz, zusteht.

3. Dem Beklagten zu 3) wird die Beschränkung seiner Haftung für Hauptanspruch, Nebenanspruch und Kosten auf das unbewegliche Nachlassvermögen des am 08.05.2013 in H. verstorbenen D. K. vorbehalten.

4. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; gegen den Beklagten zu 1) und 2) jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
Die Parteien streiten um einen aus iranischem Erbrecht folgenden Anspruch auf Wertausgleich an unbeweglichem Nachlassvermögen sowie um die Auseinandersetzung des beweglichen Nachlassvermögens.
Die Klägerin war die Ehefrau des am 08.05.2013 verstorbenen D. K. (im Folgenden: Erblasser). Der Beklagte zu 3) ist der gemeinsame Sohn der Klägerin und des Erblassers. Die Beklagten zu 1) und 2) sind Kinder des Erblassers aus erster Ehe.
Der Erblasser war iranischer Staatsangehöriger und schiitischer Muslim.
Mehrere Jahre vor dem Tod des Erblassers erhielt die Klägerin von dem Erblasser Zuwendungen in Form von Wertpapierdepots und Bankguthaben im Gesamtwert von 745.500 €. Zwischen der Klägerin und den Beklagten zu 1) und 2) ist streitig, ob die behaupteten Schenkungen wegen Geschäftsunfähigkeit des Erblassers unwirksam sind und der Betrag daher nach wie vor dem beweglichen Nachlassvermögen zuzurechnen ist.
Zu dem unbeweglichen Nachlass gehören zwei Eigentumswohnungen, eine befindet sich in H.-U., die andere in H.-H.. An der Wohnung in H., in der die Klägerin lebt, steht der Klägerin ein dingliches Wohnungsrecht zu. Die Beklagten wurden nach dem Tod des Erblassers als ungeteilte Erbengemeinschaft als Rechtsnachfolger im Grundbuch eingetragen.
Im Rahmen des Erbscheinverfahrens erließ das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg den Beschluss vom 04.12.2012 (2 W 58/14, Anlage K1). Das Nachlassgericht Hamburg erließ auf Grundlage dieses Beschlusses unter der Geschäftsnummer 72-76 VI 1747/13 den auf das Inland beschränkte Fremdrechts-Erbschein, wonach die Klägerin als Miterbin zu 1/4 hinsichtlich des beweglichen Nachlassvermögens und die Beklagten zu je 1/3 als Miterben des unbeweglichen Nachlassvermögens ausgewiesen sind (Anlage K 2). Der neu erteilte Erbschein des Amtsgerichts H. vom 05.12.2017 liegt als Anlage K 20 vor.
Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 27.08.2015 machte die Klägerin gegenüber den Beklagten einen Anspruch auf Wertausgleich an dem unbeweglichen Nachlassvermögen geltend.
Die Beklagten zu 1) und 2) lehnten die Erfüllung dieses Anspruchs mit Schreiben vom 02.09.2015 bzw. 01.09.2015 ab. Der Beklagte zu 3) erklärte sich mit Schreiben vom 09.09.2015 zur Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs bereit.
Die Klägerin erstellte ein Verzeichnis (Anlage B 8) der zum Nachlass gehörenden beweglichen und unbeweglichen Gegenstände samt ihrer Bewertung. Das bewegliche Nachlassvermögen befindet sich im Besitz der Klägerin.
Am 04.05.2017 verkündete das Amtsgericht H.-St S.. G. den Beschluss über den Zuschlag im Rahmen der Zwangsversteigerung der Wohnung in U. zu einem Gebot von 275.000 € (Anlage K 18). Der für die Beklagten hinterlegte Betrag beläuft sich auf 268.871,55 € (Anlage B 10).
Sämtliche Verbindlichkeiten des Erblassers sind mittlerweile beglichen (vgl. Anlagen K 15 – K 17).
Die Klägerin meint, ihr stehe gegen die Beklagten ein Anspruch auf Wertausgleich in Höhe von 1/4 des Werts des unbeweglichen Nachlassvermögens zu, der sich aus Art. 948 des iranischen ZGB ergebe. Dieser Anspruch sei auch fällig. Die Fälligkeit des Anspruchs hänge ausschließlich von der Bereinigung des Nachlasses ab und sei unabhängig von dessen Auseinandersetzung. Bereinigt sei der Nachlass, wenn alle Nachlassverbindlichkeiten erfüllt seien, was im vorliegenden Fall seit dem 28.07.2014 der Fall sei. Die neue Steuerschuld wirke sich diesbezüglich nicht aus.
Mit der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft hinsichtlich des unbeweglichen Nachlassvermögens habe sie nichts zu tun, da sie diesbezüglich nicht Teil der Erbengemeinschaft sei.
Die Klägerin beantragt zuletzt,
wie erkannt.
Die Beklagten zu 1) und 2) beantragen,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte zu 3) erkennt den klägerischen Anspruch an und beantragt,
einen Haftungsbeschränkungsvorbehalt nach § 780 ZPO mit dem Inhalt, dass dem Beklagten zu 3) die Beschränkung seiner Haftung für Hauptanspruch, Nebenanspruch und Kosten auf das unbewegliche Nachlassvermögen des am 08.05.2013 in H. verstorbenen Herrn D. K. vorbehalten wird, in den Tenor des Urteils aufzunehmen.
Die Beklagte zu 1) beantragt im Wege der Widerklage,
1. eine gesetzliche Inventarerrichtung gemäß Art. 206 ff. Iran FGG vorzunehmen und dazu
1.1. den beweglichen Nachlass festzustellen
1.2. einen Termin zu bestimmen zur Niederschrift eines Nachlassinventars und hierzu alle Erben zu laden (Art. 210 Iran FGG)
1.3. eine Inventarliste zu erstellen mit den Angaben des Art. 213 Iran FGG und unter Berücksichtigung sich aus Urteilen, öffentlichen Urkunden, Büchern und Unterlagen ergebenden Forderungen und Verbindlichkeiten (Art. 215 Iran FGG)
1.4. den Wert des beweglichen Vermögens durch Sachverständigen schätzen zu lassen;
2. auf Grundlage des zu 1. erstellten Inventars die gerichtliche Teilung des beweglichen Nachlasses gemäß Art. 300 ff. Iran FGG vorzunehmen und dazu
2.1. einen Termin festzulegen und alle Erben hierzu zu laden
2.2. das bewegliche Vermögen durch Sachverständigen schätzen zu lassen, soweit nicht schon zu 1.4. geschehen
2.3. eine Teilungsanordnung gemäß Art. 316 Iran FGG zu treffen und hierzu nicht teilungs- oder ausgleichsfähige Sachen zu veräußern (Art. 317 Iran FGG)
2.4. die Widerbeklagte/Klägerin zu verurteilen, gemäß Miterbanteil der Widerklägerin/ Beklagten zu 1) die gemäß vorstehend 2.3. ihr zugeordneten Sachen herauszugeben sowie den gemäß vorstehend 2.3. sich ergebenden Erlös zu zahlen.
Die Beklagten zu 1) und 2) behaupten, der Erblasser sei im Zeitpunkt der Zuwendungen an die Klägerin bereits stark dement gewesen. Sie meinen, der Anspruch der Klägerin auf Wertausgleich sei nicht fällig. Fälligkeit trete nämlich erst mit der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft, also der Aufteilung des Nachlasses auf die Erben, ein. Die Auseinandersetzung nach iranischem Recht erfolge über den gesamten, beweglichen und unbeweglichen, Nachlass. Die Auseinandersetzung könne erst dann erfolgen, wenn ein vollständiges Nachlassverzeichnis erstellt worden sei. Zu dem beweglichen Nachlassvermögen gehörten nach der Ansicht der Beklagten zu 1) und 2) auch die Vermögensgegenstände im Wert von 745.000 €, die der Erblasser der Klägerin im Jahr 2006 zugewandt hat. Die Zuwendungen seien nämlich aufgrund der schon damals bestehenden Geschäftsunfähigkeit des Erblassers unwirksam.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Rechtsgutachtens nach iranischem Recht. Darüber hinaus hat die Sachverständige Dr. Y. ihr Gutachten in der mündlichen Verhandlung erläutert. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten der Sachverständigen vom 16.05.2017 und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.11.2017 verwiesen.
Die Parteien haben ihre Zustimmung zu einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO erteilt.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Das Gericht kann über die Klage durch Teilurteil gem. § 301 Abs. 1 S. 1 ZPO entscheiden, da diese selbstständig zur Endentscheidung reif und von der Widerklage unabhängig ist.

I.
Die Klage ist zulässig, insbesondere hat die Klägerin das nach § 256 Abs. 1 ZPO für den Antrag Nr. 2 erforderliche Feststellungsinteresse. Dieses liegt nach § 256 Abs. 1 ZPO vor, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass ein Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Rechtsverhältnis in diesem Sinn ist die aus einem vorgetragenen Sachverhalt abgeleitete rechtliche Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder zu einem Gegenstand (MüKoZPO/Becker-Eberhard ZPO § 256 Rn. 10). Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie von den Beklagten an dem Erlös der Zwangsversteigerung zu beteiligen ist. Die Beklagten zu 1) und 2) lehnen die Beteiligung der Klägerin am Erlös der Zwangsversteigerungen derzeit ab.

II.
Die Klage ist auch – soweit nicht bereits anerkannt – begründet.
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagten zu 1) und 2) einen fälligen Anspruch auf Zahlung von jeweils 22.405,96 € aus Art. 946, 948 des iranischen ZGB.
a) Auf den Anspruch ist nach dem deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen iranisches Recht anwendbar. Insoweit wird auf Ausführungen des Beschlusses des Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg vom 04.12.2014 Bezug genommen (2 W 58/14, vgl. Anl. 1).
b) Nach dem iranischen Recht besteht der Anspruch und ist fällig.
aa) Nach Art. 946 ZGB hat die Witwe einen Anspruch auf Wertausgleich in Höhe von 1/4 des Werts des unbeweglichen Nachlasses. Aus Art. 948 ZGB ergibt sich, dass der Anspruch gegen die Erben des unbeweglichen Vermögens gerichtet ist, die Beklagten zu 1) – 3). Die Klägerin ist die Witwe des Erblassers. Die Beklagten sind die Erben des unbeweglichen Vermögens.
bb) Die Höhe des Wertausgleichsanspruchs beläuft sich auf jeweils 22.405,96 €.
Der Anspruch der Klägerin auf Wertausgleich ist auf 1/4 des Werts des unbeweglichen Vermögens gerichtet. Nach Art. 946 ZGB besteht zwar nur ein Anspruch auf Wertausgleich in Höhe von 1/8 des Werts des unbeweglichen Nachlassvermögens. Diese Quote wird jedoch unter Anwendung des ordre public auf 1/4 erhöht. Art. 946 ZGB verstößt nämlich insoweit gegen den ordre public, als er Männern und Frauen unterschiedlich hohe Erbquoten zuspricht. Darin besteht eine konkret geschlechtsbedingte Benachteiligung der Frau gegenüber dem Mann (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 04.12.2014, Az. 2 W 58/14). Die Lücke wird durch die Anwendung derjenigen iranischen Vorschrift geschlossen, die die Erbquote des Witwers regelt. Diese sieht eine Erbquote von 1/4 vor.
Der hinterlegte Erlös der Zwangsversteigerung der Wohnung in H.-U. beträgt 268.871,55 €. 1/4 dieses Betrags ergibt 67.217,89 €. Die Beklagten haften diesbezüglich nach Kopfteilen. Eine gesamtschuldnerische Haftung, so die Gutachterin Frau Dr. Y., ist dem iranischen Erbrecht fremd. Dies gilt auch für den streitgegenständlichen Wertausgleichsanspruch, sodass die Witwe von jedem der drei Erben die Zahlung von einem Drittel ihres Wertausgleichsanspruchs verlangen kann, sobald die Nachlassverbindlichkeiten getilgt sind (vgl. Gutachten S. 15). Im Falle der Versteigerung – so die Gutachterin in der mündlichen Verhandlung – geht der schuldrechtliche Wertausgleichsanspruch der Witwe auf ihren Anteil am Erlös. Auch die Nachlassverbindlichkeiten sind erfüllt, wie die Klägerin unter Vorlage der Anlagen K 15 bis K 17 im Einzelnen dargelegt hat. Dem sind die Beklagten auch nicht entgegengetreten.
cc) Der Anspruch auf Wertausgleich ist auch fällig. Insoweit hat die Gutachterin ausgeführt, dass die Fälligkeit des Wertausgleichsanspruchs eintritt, sobald die Erben des unbeweglichen Vermögens das Eigentum an dem Nachlass erwerben. Diese Voraussetzung ist erfüllt. Die Erben des unbeweglichen Vermögens, im vorliegenden Fall die Beklagten, haben das Eigentum an dem unbeweglichen Vermögen bereits erworben. Gemäß Art. 868 ZGB geht das Eigentum am Nachlass nach der Begleichung der Nachlassverbindlichkeiten über.
Der Fälligkeit steht auch nicht entgegen, dass noch keine Auseinandersetzung des beweglichen Nachlasses stattgefunden hat. Die Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, dass die Auseinandersetzung des unbeweglichen Vermögens nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis mit der Auseinandersetzung des unbeweglichen Vermögens steht. Es ergeben sich keine Einreden oder Einwendungen der Erben des beweglichen Nachlasses gegen den schuldrechtlichen Wertausgleichanspruch der Witwe.
2. Der Klägerin steht darüber hinaus 1/4 des zur Verteilung kommenden Erlöses aus der Zwangsversteigerung der Wohnung in H. zu. Die Klägerin hat nach Art. 946, 948 ZGB in Verbindung mit den Grundsätzen des ordre public einen Anspruch gegen die Beklagten auf Wertausgleich in Höhe von 1/4 des unbeweglichen Nachlassvermögens (s.o.). Die Wohnung im H. W. 16 gehört zum Nachlass des Erblassers. Die Zwangsversteigerung dieser Wohnung ist noch nicht abgeschlossen.
3. Der als Erbe in Anspruch genommene Beklagte zu 3) hat im Prozess die haftungsbeschränkende Einrede nach § 780 ZPO erhoben. Für die Aufnahme des Vorbehalts der beschränkten Erbenhaftung bedarf es keines Sachvortrags (BGH, Urteil vom 02.02.2010, NJW-RR 2010, 664 f.).
4. Die Kostenentscheidung war der Schlussentscheidung vorzubehalten.
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 1, 709 ZPO.